Wann

Dezember 14, 2025    
Ganztägig

Veranstaltungstyp

In Dresden, wo die Jugendstil-Linien und der Symbolismus ihre Bilder durchwehten, stand Elisabeth Andrae in ihrem Atelier. Die Tochter des Oberbaurates Karl Hermann Andrae, Schwester des Archäologen Walter Andrae, hatte ihren Weg zur Malerei über Gustav Adolf Thamm und Hans Richard von Volkmann gefunden. Sie gehörte zu jenen Künstlerinnen, die auf Hiddensee in der Blauen Scheune ausstellten – den „Malweibern“, wie man sie spöttisch nannte, und doch waren sie Hüterinnen einer eigenen, zarten Bildsprache.

Elisabeth Andrae (Gemeinfrei)

An diesem Wintertag aber war sie allein. Vor ihr auf der Staffelei entstand ein freundliches Bild: Häuser im Schnee, Dächer wie von weißem Tuch gedeckt, Fenster, die warm leuchteten. Die Linien waren klar, doch zugleich schwebte ein Hauch von Symbolismus über der Szene – als ob die Häuser nicht nur Schutz boten, sondern auch Träume beherbergten.
Während sie den Pinsel führte, geschah etwas Seltsames. Ein Ast, den sie eben noch gemalt hatte, schien sich im Wind zu bewegen. Erst ein kaum merkliches Zittern, dann ein deutliches Schwanken. Elisabeth hielt inne, das Herz klopfte. Der Eindruck wurde stärker, bis sie im Rauschen des unsichtbaren Winterwindes ein Gespräch vernahm:

Das Flüstern der Bäume

Vom hinteren Baum auf der linken Seite hört sie, wie es wispert: „Der Symbolismus, der seine Blütezeit zwischen 1880 und 1910 erlebte, entstand als bewusste Abkehr vom Realismus und Impressionismus. Während diese Strömungen die äußere Wirklichkeit festhalten wollten, suchte der Symbolismus nach dem Unsichtbaren, dem Geheimnisvollen und dem Inneren. Er erhob das Kunstwerk zum Medium einer Wahrheit, die nicht in der Oberfläche liegt, sondern im Symbol als Brücke zwischen Sinnlichem und Geistigem.“

Eines der beiden Bäume in der Mitte schien den Gedanken weiterzuführen: „Ein Symbol ist mehr als ein Zeichen. Es verweist nicht nur auf etwas anderes, sondern öffnet einen Raum der Mehrdeutigkeit. In der Kunst des Symbolismus wird das Bild zum Spiegel der Seele, zum Ausdruck von Sehnsucht, Angst, Hoffnung oder metaphysischer Ahnung. Künstler wie Gustave Moreau oder Arnold Böcklin schufen Werke, die nicht erklärt, sondern erlebt werden sollten – als poetische Rätsel, die den Betrachter in eine innere Bewegung versetzen.“

Und der Baum, der sich in seiner unmittelbaren Nähe befindet, flüsterte: „Der Symbolismus ist zutiefst philosophisch, weil er die Frage stellt: Was liegt jenseits der Erscheinung? Er verweigert sich der rein rationalen Weltauffassung und sucht nach einer transzendenten Dimension. Damit knüpft er an platonische Ideen an, die das Sichtbare nur als Schatten einer höheren Wahrheit verstehen. Zugleich ist er von der Romantik inspiriert, die das Geheimnisvolle und das Traumhafte als Quelle der Erkenntnis würdigte.“

„Naja“, sprach eines der Bäume auf der rechten Seite „viele symbolistische Werke tragen den Ton der Décadence, also der Erfahrung von Verfall und Endzeitstimmung. Doch gerade darin liegt eine philosophische Tiefe: Das Bewusstsein der Vergänglichkeit ruft die Frage nach dem Ewigen hervor. Der Symbolismus ist daher nicht nur ästhetische Flucht, sondern auch eine spirituelle Suche – nach Sinn in einer Welt, die durch Industrialisierung und Rationalisierung entzaubert wurde.“

Und der vorderste rechte Baum nahm den Faden auf und sprach: „Philosophisch betrachtet ist der Symbolismus ein Akt des Widerstands gegen den Positivismus seiner Zeit. Er behauptet, dass die Welt nicht vollständig durch Wissenschaft und Technik erklärbar sei. Das Symbolische eröffnet einen Raum für das Unbestimmbare, das Geheimnisvolle, das Nicht-Messbare.“

Und plötzlich rauschten und wisperten die Bäume im Chor: „Der Symbolismus beeinflusst nicht nur Malerei und Bildhauerei, sondern auch Literatur und Musik. Er bereitet den Weg für den Surrealismus und die moderne Abstraktion, indem er das Sichtbare zugunsten des Inneren Bildes zurückstellt. Philosophisch gesehen bleibt er eine Schule des Staunens: Er lehrt, dass die Welt mehr ist, als sie scheint, und dass Kunst uns zu dieser Mehrdimensionalität führen kann.“

Symbolistische Flamme im Olymp

Elisabeth Andrae verstand es, Dinge über ihre sichtbare Gestalt hinaus sprechen zu lassen. Ihre Häuser im Schnee, ihre Wandbilder von Babylon oder Assur – sie waren nie nur Abbild, sondern zugleich Zeichen für etwas Größeres: für Erinnerung, für Geschichte, für die geheimnisvolle Verbindung zwischen Mensch und Welt.

Die Grußkarte „Grand Dame d’Olymp“ mit ihrem dadaistisch anmutenden Wesen greift genau diese symbolistische Haltung auf. Der Kegel, der zugleich Kerze ist, wird zum Lichtträger – ein Motiv, das im Symbolismus häufig für Erkenntnis, Geist und innere Flamme steht. Dass dieser Kegel zugleich einen Rock aus fünf olympischen Ringen trägt, öffnet eine weitere Ebene: die Ringe als Zeichen der Gemeinschaft, der Vielfalt und des weltumspannenden Spiels. So wird aus der Kerze nicht nur ein Licht, sondern eine Figur, die Bewegung, Rhythmus und Zusammenklang verkörpert.

Elisabeth Andrae hätte in diesem Bild wohl eine Schwester im Geist erkannt: eine „Grand Dame“, die wie ihre eigenen Gemälde zwischen Realität und Traum schwebt. Der Kegel als Kerze erinnert an die symbolistische Idee, dass selbst einfache Formen eine innere Wahrheit bergen. Die olympischen Ringe als Rock wiederum verweisen auf das Festliche, das Spielerische, das Gemeinschaftliche – ähnlich wie Andraes Zugehörigkeit zum Hiddensoer Künstlerinnenbund, wo Kunst nicht nur privat, sondern auch gemeinschaftlich gelebt wurde.

Elisabeth Andrae starb am 14. Dezember 1945 im Alter von 69 Jahren in Dresden.


Quellen: