Manche Gedichte sind wie verschlossene Blüten: Ihre Bedeutung entfaltet sich nicht auf den ersten Blick, sondern wächst mit jedem Vers, jedem Atemzug. Rainer Maria Rilkes „Offne Wege“ gehört zu diesen Gedichten. Es beginnt mit einer Bewegung – dem Wunsch, sich nicht länger rückwärts zu zügeln – und führt Leser*innen durch eine Landschaft innerer Wandlung, vorbei an Hügeln, Nächten und Liebesmöglichkeiten, die sich nicht erfüllen. Die Sprache ist zart und zugleich durchdrungen von existenzieller Tiefe.
Der Dichter beschreibt nicht einfach Liebeskummer. Er beschreibt die Erkenntnis, dass selbst die süßesten Möglichkeiten – das „süße Wollen“ der „gewillten Schläferin“ – verletzen können, wenn sie nicht zur Ganzheit führen. Die Kerze, die „aus Sehnsucht brennen ließ“, wird zum Symbol für eine Liebe, die nicht gelebt, sondern nur erträumt wurde. Und doch: Gerade in dieser Sehnsucht liegt eine Wahrheit, eine Heilung. Die „große Nacht allein“ wird zum Ort der Versöhnung, der inneren Sammlung.

Offne Wege

Dass nicht dieses länger vor mir sei,
dem versagend, ich mich rückwärts zügel:
Wege, offne, Himmel, reine Hügel,
keinem lieben Angesicht vorbei.

Ach die Pein der Liebesmöglichkeiten
hab ich Tag und Nächte hingespürt:
zu einander flüchten, sich entgleiten,
keines hat zur Freudigkeit geführt.

Nicht die Nächte waren irgend süßer,
als, entfernt, die große Nacht allein,
plötzlich wieder in dem Blick der Büßer
schien das nun Geteilte heil zu sein.

An der Hingeschlafnen, Liebevollen
gab man innen sich der Trennung hin.
O die Kränkung an dem süßen Wollen
der gewillten Schläferin.

Jedes Ding, das einen einsam kannte,
staunte her, als ob man es verstieß, –
jetzt erst weiß man, wie die Kerze brannte,
wenn man sie aus Sehnsucht brennen ließ.

Dieser Text ist Gemeinfrei.

Das Gemälde „Am Heiderand“ (1900) von Heinrich Vogeler, das diesen Text begleitet, scheint wie ein visuelles Echo auf Rainer Maria Rilkes Verse. Der einsame Ritter, vielleicht der Maler selbst, steht am Rand einer weiten Landschaft – nicht als Held, sondern als Suchender. Die Natur ist offen, der Himmel weit, und doch liegt eine Melancholie über der Szene. Es ist, als würde der Ritter innehalten, bevor er einen neuen Weg beschreitet. Die Verbindung zwischen Bild und Gedicht ist nicht vordergründig, sondern atmosphärisch: Beide erzählen von Übergängen, von der Kraft des Loslassens und der Würde des Alleinseins.
In einer Zeit, in der viele Wege laut und grell erscheinen, lädt Rainer Maria Rilkes Gedicht dazu ein, die leisen Pfade zu würdigen. Es ist ein Gedicht für jene, die sich in der Tiefe ihrer Gefühle nicht verlieren, sondern verwandeln. Und es ist ein Gedicht für jene, die wissen, dass Erkenntnis nicht immer laut kommt – sondern manchmal wie eine Kerze brennt, die man aus Sehnsucht angezündet hat.

Angaben zur Grußkarte:
Designerkarte, Designer Karte, Grafik, Kunst, Fadenbild, Fadengrafik, kunstvoll, exklusive Faltkarte, Faltkarte, Grußkarte, Fadentechnik, moderne Kunst, Design, Tafelbild, Kerze, Blüte,Titel: Entfaltung einer Blüte
Größe (B x H): ca. 10,5 x 14,8 cm
Ausstattung: Faltkarte: innen mit Leinenpapier (Möglichkeit eines persönlichen Grußes und ähnliches), weißer Briefumschlag aus Leinenpapier
Auflage: Mai 2025

Materialverwendung und Herkunft (sofern ermittelbar):
Fäden allesamt aus 100% Seide (vermutlich Made in Germany), Karte aus 200g/m2 (Made in Austria),


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Späte Gedichte, Leipzig 1934