Valerie von David-Rhonfeld begegnete dem 18-jährigen René Rilke 1893 in Prag – bei einem Treffen junger Intellektueller, wie man sie heute wohl als „literarische WG mit Hang zum Drama“ bezeichnen würde. Die beiden verliebten sich, trafen sich täglich (was den Vater mäßig begeisterte), und Rainer Maria Rilke schrieb ihr Briefe, als gäbe es kein Morgen. 122 davon sind erhalten – inklusive 77 Gedichte. Man könnte sagen: Wenn WhatsApp damals existiert hätte, wäre Valerie wohl die erste gewesen, die ein poetisches Dauerfeuer im Chat bekam.

So oder so ähnlich könnte ein Brief von ihm ausgesehen haben:

Geliebte Valerie,

wenn ich heute zurückblicke, sehe ich nicht nur die 122 Briefe, die ich dir schrieb – Worte, die wie Blätter eines Baumes im Wind zu dir getragen wurden. Ich sehe dich, geboren 1874, eine Frau mit Stift, Stil und einem Blick, der tiefer ging als mein jugendlicher Weltschmerz. Du warst nicht nur die Empfängerin meiner Gedichte, du warst die erste, die meinen Traum nährte, die mein „Leben und Lieder“ mit deinem Herzen finanzierte und meine „Larenopfer“ mit deiner Hand zeichnete.
Du warst meine zweite Braut, meine stille Muse, meine erste Verlegerin. Und während ich mich in kühleren Briefen von dir entfernte, wurdest du doch zu den Wurzeln meines Anfangs. Dein Leben verlief zurückgezogen, deine Liebe blieb unverheiratet, und doch bist du für mich wie jener Baum auf der Grußkarte Arbre Rose“: ein Herz, das seine Krone weit in den Himmel streckt, während seine Wurzeln im Verborgenen die Erde halten.
Dein Name, Valerie von David-Rhonfeld, klingt wie ein Vers, den man nicht vergisst. Du bist die Frau hinter den Zeilen, die erste, die dachte: „Ach René, du Drama-Dichter…“ – und dennoch bliebest du der Herzbaum meiner Jugend, dessen Blätter ich nie ganz verlor.

So schreibe ich dir heute, nicht als Dichter, sondern als Liebender: Möge dein Herzbaum weiter blühen, in jedem Gruß, in jeder Erinnerung, in jedem stillen Blatt, das fällt.

Dein René.

Doch Valerie von David-Rhonfeld war mehr als nur Empfängerin romantischer Zeilen. Sie finanzierte Rainer Maria Rilkes ersten Gedichtband „Leben und Lieder. Bilder und Tagebuchblätter“ – quasi als Mäzenin mit Herz. Und als wäre das nicht genug, zeichnete sie auch noch die Vignette für sein nächstes Werk „Larenopfer“ (siehe auch: An der Ecke, Im alten Hause, Rabbi Löw I, Rabbi Löw II und Rabbi Löw III. Man stelle sich das vor: eine Frau, die nicht nur inspiriert, sondern auch illustriert. Multitalent mit Understatement!

Die Beziehung endete leise – Rainer Maria Rilke verabschiedete sich in zunehmend kühleren Briefen, wie ein Dichter, der langsam den Reim verliert. Valerie von David-Rhonfeld heiratete nie, lebte zurückgezogen und verkaufte später die Briefe an einen Antiquar. Der wollte sie veröffentlichen, doch die Rilke-Erben winkten ab. So blieb Valerie von David-Rhonfeld die Frau hinter den Zeilen – sichtbar nur für jene, die zwischen ihnen lesen.


Quellen:

  • Wikipedia (): Valerie von David-Rhonfeld, zuletzt besucht am 24.09.2025 
  • Gunter Martens und Annemarie Fost-Martens: Rainer Maria Rilke, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 2008, S. 14 ff.