Eule über der Verbotenen Stadt
Im Hof der Verbotenen Stadt (China) lag der Morgen still wie ein Atemzug. Die Kaiserinwitwe Cixi saß erhoben auf ihrem Thron, von Seide und Jade umgeben, während Katharine Carl ihre Farben mischte. Das Licht fiel durch die hohen Fenster wie eine Kerze, die im Morgensonnenlicht brennt – zart, doch unbeirrbar.
Die Malerin spürte, dass sie nicht nur ein Bild malte, sondern ein Ritual vollzog: jede Linie ein Gebet, jeder Pinselstrich ein Versuch, die Würde einer Frau festzuhalten, die von der Welt oft missverstanden wurde.

Katherine Carl in China (Gemeinfrei)
Da flatterte eine Eule lautlos herbei, setzte sich auf den Rahmen des unfertigen Porträts und sprach mit einer Stimme, die wie Wind durch alte Tempel hallte:
„Du wirst am 7. Dezember 1938 sterben, Katharine. Nicht durch Krieg, nicht durch Krankheit, sondern durch das Wasser, das dich wärmen soll. Verbrühungen im Bad werden dein letztes Tor sein.“
Die Worte waren kein Fluch, sondern eine Offenbarung. Katharine Augusta Carl blickte auf die Eule, und statt Furcht empfand sie eine seltsame Ruhe. Denn die „Kerze im Morgensonnenlicht“ brennt nicht, um die Nacht zu vertreiben, sondern um den Tag zu begrüßen.
Sie verstand: ihr Leben war selbst eine Kerze – ein Licht, das durch Reisen, Begegnungen und Bilder geleuchtet hatte. Die Kaiserinwitwe, die ihr einen Pekinesen schenkte und sie mit Orden ehrte, war Teil dieses Lichtes. Und auch ihr Tod würde nur ein weiteres Aufgehen der Sonne sein, ein Übergang, nicht ein Ende.
Die Eule erhob sich wieder, und die amerikanische Malerin porträtierte weiter. Jeder Strich war nun getragen von dem Wissen, dass ihr Werk über sie hinausstrahlen würde – wie eine Kerze, die im Morgenlicht nicht verlöscht, sondern sich mit der Sonne vereint.
Quelle:
Vgl. Wikipedia (₪): Katherine Carl, zuletzt besucht am 25.11.2025