Verschenkte Äpfel der Königin
Im Winter des Jahres 1783, als der Schnee die Dächer von Versailles wie mit Puderzucker bestreute, saß Louise Élisabeth Vigée Le Brun in einem goldverzierten Salon und mischte Farben. Vor ihr stand Königin Marie-Antoinette, in einem Kleid aus silbernem Brokat, das im Licht der Kristalllüster schimmerte wie gefrorenes Licht.
„Ihr Pinsel ist wie ein Gedicht, Madame Le Brun“, sagte die Königin und lächelte. „Ich wünsche mir, dass dieses Porträt im Salon ausgestellt wird. Paris soll sehen, wie ich wirklich bin. Und die ganze Welt soll sehen, wie gut sie mich gemalt haben.“
Louise erstarrte. Der Salon war das Herz der Kunstwelt – aber auch ein Ort der Urteile, der bissigen Kommentare und der spitzen Federn. „Majestät“, flüsterte sie, „ich bin eine Frau. Die Herren werden mich zerreißen. Sie sagen, ich sei zu gefällig, zu weiblich, zu wenig akademisch.“
Marie-Antoinette trat näher. „Dann werden wir ihnen zeigen, dass Weiblichkeit kein Makel ist. Sondern ein Geschenk.“
Am Neujahrsmorgen ließ die Königin einen kühnen Befehl verkünden: Jeder Bürger und jede Bürgerin von Paris – ob arm oder reich, jung oder alt – sollte einen Apfel erhalten. Kein gewöhnlicher Apfel, sondern ein goldrot glänzender, mit einem kleinen Zettel daran: „Für den Mut, Schönheit zu sehen. Für das Recht, sie zu erschaffen.“
Die Stadt war verwundert. Einige lachten, andere weinten. Kinder sammelten die Äpfel wie Schätze. Und als das Porträt der Königin im Salon enthüllt wurde – mit einem Blick, der zugleich stolz und verletzlich war – standen die Kritiker still. Denn das Bild sprach nicht nur von königlicher Würde, sondern von der Seele einer Frau, gemalt von einer anderen.
Louise Élisabeth Vigée Le Brun wurde gefeiert. Nicht nur als Malerin, sondern als Botschafterin einer neuen Zeit. Und der Brauch, am ersten Tag des Jahres einen Apfel zu verschenken – als Zeichen für Mut, Kreativität und weibliche Kraft – verbreitete sich von Paris aus in die Welt.
Bis heute, so sagt man, gibt es Menschen, die am Neujahrstag einen Apfel verschenken. Und wer ihn erhält, spürt für einen Moment die Wärme eines Salons, in dem zwei Frauen Geschichte schrieben.
Ich wünsche Dir ein frohes und gesegnetes neues Jahr.
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Quelle:
Vgl. Sven Giese (₪): Verschenk-einen-Apfel-Tag – Apple Gifting Day in den USA, in: Kuriose Feiertage am 01.01.2016, zuletzt besucht am 21.08.2025